Sie wog nur noch 15 kg; es gab kein Fleisch mehr an ihrem Körper. Ihr Leib bestand nur noch aus reiner Überzeugung.
Darum konnten sie ihre Willenskraft nicht besiegen.
Unsere Genossin Özlem Türk, deren unbeugsamer Wille die zunächst letzte Fahne symbolisiert, war 27 Jahre alt. Davon verbrachte sie 7 Jahre in Gefangenschaft.
Davor war sie im Kampf für die Freiheit ihres Volkes und gegen den Hunger.
Özlem, die am 15. April 1975 in Gümüshaciköy/Amasya auf die Welt kam und türkisch-alevitischer Herkunft ist, war das Kind einer armen Bauernfamilie. Sie konnten ihren Lebensunterhalt nur mit Tabak bestreiten. Wie bei allen TabakanbauerInnen, wuchs mit ihrem Alter auch die Armut. Im Gymnasium lernte sie zum ersten mal revolutionäre Gedanken kennen. Nach dem Gymnasium hat sie verschiedene Tätigkeiten aufgenommen und beteiligte sich am Kampf.
Das Fallen sehr junger Menschen bewegte sie. Ein dreitägiger Hungerstreik aus Protest gegen die Ermordung der beiden StudentInnen Ugur Yasar Kilic und Sengül Yildiran im Jahre 1993, war die erste Aktion, an der sie sich beteiligte. Sie arbeitete in den Büros der Zeitschriften “Özgür Karadeniz” (Freies Schwarzes Meer) und “Samsun Mücadele”. Sie wurde oftmals verhaftet.
1993 wurde das Büro der Zeitschrift “Özgür Ülke” von der Kontra-Guerilla bombadiert. Dort, wo sie einen Solidaritätsbesuch abhielt, wurde sie festgenommen. Weil sie gegen das Plünderungspaket der Ciller-Regierung vom 5. April eine Sonderausgabe verteilte, wurde Özlem festgenommen. Sie forderte Gerechtigkeit, wurde festgenommen, widersprach der IWF-Plünderung, wurde festgenommen – wie das bei allen RevolutionärInnen und DemokratInnen dieses Landes üblich ist. Das sind die Quellen für das Etragen von hunderten Tagen Hunger und für die Willenskraft.
Am 23. Februar 1995 wurde sie verhaftet und ins Samsun Gefängnis gesteckt, von dort ins Ulucanlar-Gefängnis gebracht. Am Todesfastenwiderstand von 1996 nahm sie in der 2. Gruppe teil.
Im Jahr 2000, als die F-Typen aktuell wurden, sowie nach dem Massaker am 19. Dezember wollte sie ganz vorne dabei sein. Sie schrieb in ihrem Brief:
“Es ist eine große Ehre und Stolz eine Todesfastenkämpferin zu werden. Diese Ehre und diesen Stolz möchte ich ganz aufrichtig nochmal erleben. Es ist sehr schwer, all meine Gefühle zu definieren. Es ist ein großer Schmerz zu sehen, wie meine GenossInnen Tag für Tag dahinschmelzen, fallen und wir uns trennen müssen. Was aber schwerwiegt ist, nicht nur mit meinen Gefühlen, sondern meinem Bewusstsein und ganzen Herzen mit meinen GenossInnen oder besser gesagt, vor meinen GenossInnen dem Tod entgegenzutreten.
Wer uns mit dem Tod einschüchtern möchte, der oder dem wollen wir nochmal mit den Worten unserer Genossin antworten, die den Tod besiegt hat. Özlem, deren Worte mit ihrem Märtyrertum eins wurden, sagte: Ich sage nicht, dass ich bereit bin für den Tod. Denn diese Bereitschaft möchte ich nicht ständig wiederholen. Diese Vorbereitung, die Abrechnung habe ich schon vor Jahren beendet. In diesem Punkt bin ich im Klaren. Weswegen? Weil ich weiss, dass die Tatsache von der Partei-Front zu sein, unter der Fahne der Partei-Front zu leben, immer eine Begegnung mit dem Tod bedeutet. Das trifft nicht nur für mich zu, alle von der Partei-Front denken so.”